Reisebericht: Sounds of Värmland

Mitte Juni bin ich für das Arvika Kanot und Turistcenter angeheuert worden, um einen Reisebericht über eine Kanuwanderung im Värmland zu verfassen. Aus diesem Projekt wird aber in Kürze mehr enstehen, nämlich die „Sounds of Värmland“. Aber hier schon einmal die ausführliche Reportage.

Wasserwandern in Värmland: Von einsamen Seen und langen Nächten

Fünf Tage ist ein kleines Boot auf unserer Wasserwanderungen auf den Seen und Flüssen in Schweden unser Zuhause gewesen. Ein Reisebericht.

Es ist ein Licht, das ich aus meiner Heimat nicht gewohnt bin. Auch wenn es bei uns in Deutschland im Juni lange hell ist, ist es doch etwas Besonderes, kurz vor Mitternacht die letzten Sonnenstrahlen am Horizont zu sehen. Während mein Freund Joshua und ich am Strand mit einem Bier sitzen und uns an einem Lagerfeuer wärmen, liegt unser Boot (besser gesagt unser Kanadier, das ist eine spezielle Form eines Kanus) am Strand und wartet auf seinen letzten Reiseabschnitt am nächsten Morgen. Das Licht schimmert golden, das Knistern des brennenden Holzes sorgt für den passenden Sound. Ich hole meine Kamera und fange ein paar Stimmungen ein. Es ist das heimliche Finale einer Reise, die uns viel abverlangt, aber umso mehr gegeben hat. Doch der Reihe nach.

Prolog der Reise

Nach einer Nacht, die wir in einer Hütte beim Kanu-Center in Ingestrand verbracht haben, bekommen wir am Vormittag unser Material zur Verfügung gestellt. Es sind Kunststofffässer, die unsere Ausrüstung davor bewahren sollen, nass zu werden. Manche sind leer, in anderen warten Verpflegung und Küchenutensilien auf uns. Gegen 10 Uhr morgens bekommen wir eine halbstündige Einweisung von Johann, einem Angestellten des Kanucenters. Wir setzen uns dazu auf eine Holzbank unter ein paar Kiefern. Johann hat eine große Karte der Seenlandschaft Värmlands dabei. Auf den ersten Blick bin ich von der schieren Anzahl der blauen Flecken erschlagen. In dieser Gegend gibt es mehr Wasser als Land und die Möglichkeiten alle Flecken mit dem Kanu zu entdecken scheinen unendlich. Wir befinden uns ganz am Anfang der Saison Anfang Juni. Wenige Wochen vorher gab es noch Nachtfrost, in unserer Woche wird es nicht kälter als 10 Grad am frühen Morgen werden. Wir erfahren, wo wir überall Feuer machen dürfen und wo wir unser Camp aufbauen können. In Schweden gilt das allemansrätten, das so viel heißt wie „Jedermannsrecht“. Solange man nicht stört und nichts zerstört, darf man im Prinzip überall kampieren.

Johann brieft uns bevor wir lofahren. Foto: Escucha/LukasFleischmann

Eine Stunde später sitzen wir mit Felix, einem Kollegen von Johann, im Auto. Er fährt uns unserem Startpunkt. Die Atmosphäre ist locker, wir witzeln viel und tauschen uns über schwedische Eigenheiten, wie den hohen Kaviar-Konsum aus der Tube oder das frühe Abendessen aus. Als wir am Ziel ankommen beginnt es zu regnen. Wir lernen gleich am ersten Tag, wie wichtig passende Regenkleidung ist. Außerdem bin ich heilfroh, dass ich in eine Outdoorhose investiert habe. Die wird sich in den kommenden Tagen als eine der besten Investitionen herausstellen. Gleich ein Hinweis: Auf keinen Fall Jeanshosen auf dem Kanu benutzen. Denn die reiben und werden nass.

Tag 1: Die einsame Insel und die Geräusche der Nacht

Wir beginnen unsere Fahrt gegen 14 Uhr auf dem Bergsjön.  Das ist einer der kleineren Seen. Wir verstauen unser Gepäck so, dass möglichst viel Gewicht hinten auf dem Boot liegt. Am Anfang kann ich mir gar nicht vorstellen, wie wir das alles transportieren sollen, aber nach kurzer Zeit und ein bisschen “Tetris-Spielen mit dem Gepäck” sitzt alles. Weil ich schon einmal Flusswandern war und ein wenig mehr Erfahrung mitbringe als Joshua, sitze ich hinten und steuere das Boot.

Am Anfang brauche ich noch ein paar Minuten, um wieder reinzukommen und fahren wir im Zig-Zag los. Das passiert, weil ich die C- und J-Schläge üben muss. Diese Schläge, die in Form dieser Buchstaben im Wasser geführt werden, schaffen es, das Kanu gerade zu halten. Mittlerweile ist es schon Nachmittag und der Regen hat an Stärke zugenommen.

Nach etwa eineinhalb Stunden Fahrt erreichen wir die erste Portage. Das ist ein Ort, an dem wir das Kanu umtragen, also portieren müssen. Wo die geeignete Stelle ist um Umzutragen, wird durch ein kleines Schild angezeigt, das nicht immer ganz einfach zu entdecken ist. Wir tragen Tonne um Tonne und Sack um Sack von einer Stelle zur anderen.  Wir finden uns auf einem kleinen Fluss wieder. Flüsse – und das werden wir noch häufig während der Reise merken – sind wesentlich angenehmer zu befahren als die großen Seen. Am Ufer ranken sich Kiefern auf dem kargen Boden. Felsen gehen vom Land ins Wasser über. Schilffelder wechseln sich mit Seerosen ab. Kurzum: Idylle pur. Wir legen eine kurze Navigationspause ein.

Am Anfang ist es noch schwer, sich auf der Karte zu orientieren. Aber das wird sich noch ändern. Für diesen Tag wollen wir es nicht übertreiben und suchen uns einen Schlafplatz. Auf der Karte sind einige Spots mit einem roten „Shelter“-Symbol markiert. Wenige Kilometer vor uns liegt wohl genauso einer auf einer einsamen bewaldeten Insel mitten im See. Wir beschließen, dort hinzupaddeln. Die Insel erscheint am Horizont und plötzlich fühlen wir uns wie im Film.  Aus der Ferne machen wir auch schon die kleinen Verschläge aus, die uns und unserem Gepäck Unterstand bieten. Aber den werden wir in dieser Nacht nicht brauchen. Nachdem wir das Boot vertäuen, inspizieren wir den Platz und bereiten alles vor. Wir wollen ein Lagerfeuer machen und sind auf der Suche nach Holz.

Leider ist durch den Regen alles nass und wir benötigen einige Zeit, um geeignetes Brennmaterial zu finden. Auf einer Lichtung liegt eine umgestürzte Birke, die wir gut mit unserem großen Taschenmesser zersägen können. Vor allem die Rinde eignet sich perfekt, um ein Feuer zu starten. Nach mehr als zwei Stunden Zeltaufbau, Feuerholzsammeln, Kochen und Sonstigem setzen wir uns mit einem Glas Scotch auf die Felsen und schauen in die Ferne. Genauso hatten wir uns das vorgestellt.

Damit wir das Feuer am laufen halten, müssten wir ständig neues Holz zum Trocknen an den Rand der Feuerstelle legen. Foto: Escucha/LukasFleischmann

Tag 2: Wir lernen den Wind kennen

Ich hatte eine unruhige Nacht hinter mir und stehe daher übermüdet auf. In der Nacht haben wir die Geräusche des Waldes gehört und einige Tiere haben wohl auch am Zelt geschnuppert. Am Anfang hat mir das tatsächlich ein wenig Angst eingeflößt, weil ich das so gar nicht gewohnt war.

Aber irgendwann ist es schön, dem Treiben der Natur in der Nacht zuzuhören. Wir bereiten Kaffee und Müsli vor. Es sind 20 Grad und einige Sonnenstrahlen zeigen sich. Es ist gar nicht so einfach die richtige Menge Milchpulver abzuschätzen. Wir beide haben das noch nie versucht und so tasten wir uns vorsichtig an die richtige Menge ran. Zusätzlich zu unserem Trangia-System, haben wir einen Gaskocher dabei, der ab diesem Tag jeden Tag Kaffee und Tee zubereiten wird. Das Trangia-System, das eine ziemlich geniale Multifunktionsküche ist, nutzen wir fürs Kochen. Im Prinzip ist das System ein Spiritusbrenner, auf dem man verschiedene Topfaufsätze stellen kann. Die können wir nach dem Essen wieder sehr kompakt zusammenschlichten. Das ganze Teil nimmt damit kaum Platz weg.

Gegen elf Uhr sitzen wir wieder auf dem Boot. Abbau und Beladung kosten uns rund eineinhalb Stunden. An diesem Tag wollen wir schön Strecke machen und nehmen uns eine große Route vor. Zunächst kommen wir an diesem Tag gut voran. Wir passieren das Dorf Gunnarskog und landen in einem großen See (Gunnern), der sich in zwei Arme aufteilt. Eigentlich müssten wir den westlichen Arm nehmen, weil dieser Verlauf weiter auf unserer Route liegt. Doch am östlichen Ausläufer befindet sich ein Supermarkt. Wir schätzen, dass wir etwa eine halbe Stunde dorthin benötigen, und jeweils eine halbe Stunde für den Einkauf und für die Rückkehr auf den richtigen Arm des Sees.

Aber der Wind macht uns einen Strich durch die Rechnung. Denn plötzlich formen die Böen kleine Wellen, die immer größer werden und das Paddeln zur Anstrengung werden lassen. Regen ist nicht der Gegner der Wasserwanderer, es ist der Wind. Etwa eine Stunde benötigen wir, um das Ufer und den dort gelegenen Supermarkt zu erreichen. Wir sind völlig außer Atem. Nach dem Einkauf beschließen wir, am Ufer zu essen, was durch die Böen eine turbulente Angelegenheit wird. Im Anschluss brechen wir wieder auf, weil wir so schnell wie möglich aus dieser windigen Szene wollen. Wir machen den Fehler über den offenen See zu fahren. Die Wellen sind mittlerweile viel höher und schwappen ins Boot.

Gleichzeitig muss ich das Kanu so lenken, dass wir nicht quer zu den Wellen fahren. Wir laufen Gefahr zu kentern. In diesem Moment ist es wichtig einfach weiterzumachen und so schnell wie möglich ans Ufer zu gelangen. Wir brauchen etwa eine Viertelstunde. Nachdem wir das Wasser im Boot mit einem Schwamm entfernt haben und uns wärmer angezogen haben, geht unsere Fahrt weiter. Mit zwei Stunden Verspätung sind wir wieder da, wo wir eigentlich hinwollten.  Der späte Nachmittag ist dann aber gnädiger zu uns. Wir machen viel Strecke und fahren dann über einen Fluss und ein paar kurze Portagen in den kleinen See Bjälvern. Wir wollen an diesem Abend wieder auf einer kleinen Insel kampieren und machen uns auch zielstrebig in diese Richtung auf. Allerdings passieren wir nach wenigen Minuten auf dem See eine Uferabschnitt, an der wir vom Fluss aus Unterstand, Feuerstelle und sogar Brennholz sehen. Wir beschließen die Stelle genauer zu inspizieren und sind völlig begeistert von der Location. Sie ist nicht auf der Karte eingezeichnet.  An der Rückwand der Hütte ist bereits Holz aufgetürmt. Wir beginnen unser Lager aufzubauen, kochen in Ruhe und springen sogar in den Fluss. Ein guter, langer Abend mit ausladendem Feuer und schwedischem Folkbier beginnt.

Joshua sitzt vorne, während ich hinten lenke. Der Wind hat ein wenig nachgelassen. Trotzdem sind wir vorsichtig und fahren in Richtung Ufer. Foto: Escucha/Lukas Fleischmann

Tag 3: Robinson-Crusoe-Strand in Dallen

Wir haben verschlafen. Und das liegt vornehmlich an dem Hillenberg-Zelt, das wir für unsere Reise bekommen haben. Denn das eigentlich für das Militär konzipierte Zelt ist innen dunkel, um das Einschlafen zu erleichtern, weil die Sonne um 23:30 Uhr unter- und um drei Uhr morgens aufgeht.

An diesem Tag sieht es aus, als wäre das Wetter gnädiger mit uns und so sind wir nicht weiter besorgt. Nach dem üblichem Aufräumprocedere beginnen wir unsere Fahrt auf einem malerischen Fluss, der sich ganz schön lange durch die Landschaft zieht. Wir möchten heute nach Amotfors kommen und vorher noch einen Stopp auf der Insel Öna machen. Dort gibt es Reste einer Wikingersiedlung, die wir uns anschauen wollen. Spoiler: Das werden wir nicht tun, denn wir machen einen unfreiwilligen Landgang auf der anderen Seite des Ufers. 

Der große See, an dem wir nach dem Fluss ankommen, heißt Dalsälven. Er ist s-förmig und endet bei Amotfors. Die Form des Sees beeinflusst, ob wir, je nach Ausrichtung Rücken-, Seiten- oder Gegenwind haben. Wie auch gestern frischt der Wind auch heute wieder auf und wir müssen bei der ersten Querung mit Seitenwind rechnen. Doch wir sind vorbereitet und haben unser Gepäck so gut es geht vertäut und abgedeckt. Bei der ersten Querung des Sees gelangen wir nach viel Arbeit und einer kurzen Pause bei einem Kirchhof in Ny an. Dort wollen wir Pause machen. Ny markiert auch den Ort, wo sich der See um 90 Grad dreht.

Nach dem Essen macht der kommende Abschnitt Spaß, denn wir haben Rückenwind und Wellen, die uns mittragen. Kanufahren fühlt sich auf einmal ein wenig nach langsamem Surfen an. Wir erreichen in Rekordzeit das Ende dieses Abschnitts und sehen die Wikingerinsel Öna schon vor uns. Doch um dort hinzugelangen, macht der See wieder eine 90 Grad Biegung in die andere Richtung und der angenehme Rückenwind bläst uns plötzlich in die Seite. Und zwar ziemlich in die Seite.

Wir beschließen unseren Plan mit Öna aufzugeben, denn an eine Querung ist zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. Stattdessen fahren wir in Ufernähe und versuchen so gut es geht gegen die Wellen anzukämpfen. Doch irgendwann sind die Böen so stark, dass sich Schaum auf den Wellen bildet. Wir beschließen so schnell es geht ans Ufer zu gelangen. Problem: An dieser Seite des Sees liegen riesige Steine am Ufer, gegen welche die Wellen schlagen. Wir befürchten, dass wir auch gegen die Steine gedrückt werden. In 100 Meter Entfernung befindet sich ein Schilffeld, das die Wassermassen zumindest ein wenig bremst. Wir gelangen dort ans Ufer, doch sofort schwappt Wasser ins Boot.

Wir bringen das Gepäck ins Trockene und kippen das Boot. Die Wellen branden ohne Pause gegen den Aluminium-Körper. Wir sind an einem steilen Strand angelangt, der eindeutig Bieber-Gebiet ist. Zahlreiche Bäume sind angeknabbert oder bereits gestürzt und versperren uns den Weg. Gleichzeitig bläst der Wind unbarmherzig von hinten. Wenig später haben wir unser Gepäck über Baumstämme gehangelt und in Sicherheit gebracht. Meine Kleidung ist pitschnass geworden und ich hänge sie an einem Seil in den Wind. Nächster Hinweis: Man kann nie genug Seil dabeihaben! Das Adrenalin der vergangenen Stunde kickt gerade völlig rein und sowohl Joshua als auch ich fühlen uns, als hätten wir gerade den Kräften der Natur getrotzt. Es ist ein schönes Gefühl auf dem Baumstamm zu sitzen, der zur Hälfte in den See ragt, und den Wellen zu lauschen. Wir rufen das Kanu-Center an.

Eigentlich sollen wir das nur in Notfällen machen, aber das fühlt sich gerade ein wenig wie einer an. Wir bekommen die Ansage, dass der Wind in den nächsten zwei Stunden nicht weniger werden wird. Das wäre dann also bis 19 Uhr Warten und Ausharren. Wir beschließen die Gegend zu erkunden, und sehen, dass wir nicht die einzigen waren, die ihr Boot hier geschützt haben. Wir sehen noch ein weiteres Kanu, das wenige Meter entfernt in den Schilf geschleppt wurde.

Die Paddel sind noch im Boot, von den Personen findet sich aber keine Spur. Nur 100 Meter entfernt beginnt ein Schotterweg, der nach drei Kilometern in Amotfors endet. Obwohl der Weg so nah ist, ist er für uns nicht erreichbar. Zumindest nicht mit dem Boot und den schweren Fässern. Wir geben dem Wetter noch eine Stunde und laden dann das Kanu wieder ein. Das funktioniert nach mehreren Versuchen und Baumästen, die wir als Wellenbrecher vor das Boot legen. Unsere Strategie ist es, durch die Schilffelder weiterzukommen. 300 Meter später geben wir diese Strategie auf. Die Wellen sind  stärker geworden und schubsen uns wie eine Nussschale im Wasser hin und her. Wir fahren ans Ufer, das glücklicherweise nun ein flacher Sandstrand ist, von dem die große Straße nur wenige Meter entfernt ist. Wir rufen den Kanu-Verleiher Paul an, der uns samt Boot und Gepäck etwa zwei Stunden später mit dem Auto abholt und nach Amotfors bringt. Wir essen eine Pizza und verdauen den Schrecken. Paul fährt uns im Anschluss zum See Hugn.

Wir steigen mit unserem Boot an einer wunderschönen Stelle wieder ein. Hinter uns liegt eine kleine Wiese, vor uns der leere See.  Zum Abschied verrät uns Paul, dass er von ein paar Bootsgruppen erfahren hat, hinter einer nahegelegenen Flussbiegung befinde sich eine tolle Stelle zum Rasten.  Das ist das Ziel für heute. Tatsächlich kommen wir nach 20 Minuten Fahrt dort an, aber die Stelle unterbietet unsere Erwartungen gewaltig. Denn sie befindet sich erstens nahe an einer Straße, ist zweitens sehr klein und drittens voller Moskitos. Das ist für Schweden zwar nichts Ungewöhnliches, aber die schiere Masse an Stechmücken an diesem Ort war auf unserer Reise einzigartig. Unsere Stimmung ist gedrückt. Wir sind körperlich am Ende, alles ist nach wie vor nass und der Zeltplatz eine Enttäuschung. Zum ersten Mal habe ich keine Lust mehr. Ich stelle mir meine Wohnung in Bonn vor und vor allem mein Sofa. Joshua sieht mich an und wir wissen, dass wir an unserer Stimmung arbeiten müssen. Also schauen wir uns Videos an, wie wir aus Schnüren Selfmade-Angeln machen können. Natürlich wissen wir, dass wir damit nichts fangen werden, aber etwas zu tun zu haben hilft in dieser Situation. Und ein zwei Gläser des Whiskeys sind sicherlich auch nicht schlecht in diesem Moment. Wir werfen unseren selbstgemachten Karottenwobbler, das ist ein Angelhaken, ins Wasser und fangen – Achtung, Achtung – natürlich nichts. Aber wir haben sehr viel Spaß.

Kurz nach Mitternacht beschließen wir schlafen zu gehen und verbringen die Nacht im Zelt, das in Rekordzeit getrocknet ist. Hochwertige Ausrüstung zeigt sich vor allem in diesen Momenten.

Der Fluss sieht aus wie ein impressionistisches Ölgemälde von Monet. Aber die Moskitos stören die Idylle. Foto: Esucha/Lukas Fleischman

Tag 4: Sonne, Ausblicke und Farben nicht von dieser Welt

An diesem Morgen beginnt der Trip früher als sonst. Denn wir wissen, dass wir heute einige Kilometer gut machen müssen. Das Wetter hat sich entspannt und wir fahren bei strahlendem Sonnenschein, leichter Brise und 24 Grad los. Der See Hugn gefällt mir bislang am besten.

Er ist fast menschenleer und von bewaldeten Hügeln umgeben, die sich im ruhigen Wasser spiegeln. Das Queren dauert keine halbe Stunde bei diesen Bedingungen. Auch die folgenden Flüsse und Seen sind spektakulär. Zwar braust der Wind wieder ein wenig, aber wir müssen an diesem Tag immer Richtung Süden und haben damit den Wind auf unserer Seite. Wir fahren an kleinen Inseln, Angelbooten und privaten Anwesen auf dem See Ränken vorbei. An diesem Tag werden wir die längste Portage vor uns haben (fünf Kilometer). Daher beschließen wir eine ausgedehnte Mittagspause zu machen.

Am südlichen Ende des Ränkens auf der östlichen Uferseite finden wir die perfekte Stelle dafür. Felsen habe eine Art natürliche Terrasse gebildet und an der Anzahl der Feuerstellen können wir schnell sehen, dass wir nicht die einzigen waren, die diese Stelle genossen haben. In einer kleinen Bucht können wir das Boot sicher parken. Wir setzen uns in die Sonne und genießen das Essen, das in diesem Umfeld viel besser schmeckt.

Wir erkunden die Felsformation ein wenig und denken uns, dass das der perfekte Platz für die Nacht wäre. Nach der Pause sind es nur noch wenige hundert Meter bis zum Beginn der Portage. Doch die hat es in sich. Es sind fünf Kilometer, die auf verschiedenen Wegen zurückgelegt werden können. Entweder über die ausgebaute Straße, was durchaus gefährlich werden kann aufgrund der Autos. Oder aber über Feld- und Schotterwege. Wir beschließen eine Mischung aus beiden zu unternehmen, da wir uns im Supermarkt in Sulvig am Ende der Portage noch Feuerholz kaufen wollen. Die Portage dauert etwa eineinhalb Stunden. Wir haben das Kanu dazu auf die Räder gestellt und die Rucksäcke auf dem Rücken getragen. Zu Beginn schiebe ich hinten, während Joshua vorne zieht. Später merken wir, dass es einfacher ist einen Trick anzuwenden, den uns Johann gezeigt hatte. Wir halten ein Paddel quer, wickeln es durch die Bootschlaufe am Bug des Bootes und schieben damit das Boot. Das funktioniert ganz gut, aber die Sonne und das Gewicht zollen ihren Tribut. Es wäre sinnvoller gewesen mit dieser Portage am Morgen ausgeruht anzufangen.

Der Supermarkt ist gleich in der Nähe des Sees Glasfjorden. Das Kanucenter liegt auch an den Ufern dieses Sees und so wissen wir, dass wir den Großteil unseres Weges hinter uns haben. Unser Ziel: So schnell wie möglich einen Spot zum Campen finden. Doch gerade um Sulvig herum gibt es kaum freie Plätze. An der westlichen Uferseite des kommenden Sees reiht sich Privatgrund an Privatgrund und am östlichen Ufer des Sees sind die Schilfzonen so dicht, dass wir da unmöglich mit dem Boot durchkommen. Also weiter. Eine Wiese am Horizont entpuppt sich als Pferdekoppel. Also weiter. Immer noch Schilf. Überall Schilf. Einen Kilometer später finden wir eine Felsformation, die ins Wasser ragt. Und im Wald erspähen wir eine Schutzhütte und eine Feuerstelle. Wir wähnen uns schon am Ziel. Endlich ein Platz nach 30 Kilometern Tagestour. Leider werden wir aber auch hier wieder enttäuscht, denn wir befinden uns am äußeren Ende des Naturreservats Bergsklätten. Dort ist Zelten verboten. Scheisse.

Zum Glück kommt in diesem Moment ein Mann mit Trekking-Gepäck aus dem Wald gelaufen. Er scheint aus der Gegend zu sein und ich spreche ihn an. Auf der anderen Seite des Sees könne man fast überall schlafen, sagt er. Und wir hätten da sogar die Abendsonne. Also beschließen wir diesen letzten Abschnitt noch zu paddeln. Nach einer halben Stunde sind wir am anderen Ufer und die Wellen sind wieder zu hoch, um in Ruhe weiterzufahren. Wir sind an einem traumhaften Strand, der allerdings von einem Zaun umgeben ist und dessen Rasen gemäht ist. Das ist ein Zeichen für Privatbesitz und dort dürfen wir nicht bleiben. Wir können aber nicht mehr und die Wellen machen eine Weiterfahrt unmöglich.

Ich warte bis ich eine junge Frau sehe, die das Gelände passiert. Sie sagt mir, dass sie das Grundstück zwar nicht gut kenne, aber dass wir dort sicher schlafen könnten. Gut, das beruhigt. Nur eine Viertelstunde später sehe ich, dass ein Mann mit seinem Enkel auf uns zukommt. Er stellt sich als Johann vor und will mit seinem Enkel Matheu noch einmal ins Wasser hüpfen. Er erzählt mir, dass das ein Grundstück der örtlichen Community sei und wir hier gerne eine Nacht verbringen können. Wir quatschen noch ein wenig und stoßen mit einem Bier an. Und dann machen wir es uns am Sandstrand gemütlich und lassen uns vom Licht verzaubern. Denn dieser Ausblick ist sämtliche Strapazen des Tages wert. Die Szenerie besteht aus einem goldenen  Grundton, der von roten Farbklecksen durchzogen ist. Im Kontrast dazu schimmert der See dunkelblau. Die Wellen und Spiegelungen sorgen für weiße Akzente, das Ganze wird mit dem Hellbraun des Schilfs und dem satten Grün der Wiese formvollendet. Bis kurz vor Mitternacht sitzen wir da und genießen.

Joshua genießt die Stimmung am Abend und das goldene Licht. Foto: Escucha/LukasFleischmann

Tag 5: Hügelgräber, die Ankunft und die erste heiße Dusche

Diese Nacht war richtig frisch. Vor allem da wir nicht im Wald kampiert haben wie in den vorausgegangenen Nächten. Aufstehen ist nicht einfach und die Strapazen von gestern lassen mich jeden einzelnen Muskel spüren. Weil wir nicht mehr viel Strecke vor uns haben, beschließen wir dem Naturreservat noch einmal einen Besuch abzustatten.

Wir fahren wieder über den See und landen genau da, wo wir am vorherigen Tag schlafen wollten. Wir beginnen eine kleine Wanderung durch das Gebiet. Leider sind etliche Wanderwege gerade gesperrt, weil viele der Bäume nicht mehr stabil stehen. Durch den felsigen Untergrund sind es nur flachwurzelnde Bäume, die hier wachsen. Ein Sturm kann etliche davon instabil machen oder umstürzen. Auf dem Weg, den wir gehen können, sehen wir aber Überreste von bronzezeitlichen Grabhügeln. Leider sind die meisten Beschreibungen nur auf schwedisch, sodass wie die Infos mehr oder weniger interpretieren können.

Als wir wieder zum Felsen zurückkehren steht die Sonne im Zenit. Es ist zu warm auf den Felsen und wir ziehen uns einige Meter in den Wald zurück. Wir erholen uns dort ein wenig und starten die Rückreise zum Kanu-Center nach Ingestrand. Das dauert noch gute zwei Stunden. Gegen 15 Uhr erreichen wir das Ufer. Nach Kaffee und Snacks stellen wir unser Boot auf eine Vorrichtung zum Trocknen und geben unsere Ausrüstung zurück. Das ist noch ein letztes Mal anstrengend und kostet Nerven.

Doch die Belohnung einer ersten heißen Dusche im Kanu-Center lassen das schnell vergessen. Tatsächlich sitzen wir am Abend zufrieden auf dem Steg und blicken auf das Wasser. Wir sind fünf Tage gepaddelt, haben Wellen getrotzt und sind von Wellen in die Knie gezwungen worden. Wir haben uns mal unterschätzt und mal überschätzt. Aber vor allem waren wir, so glaube ich, ein ganz gutes Team.

Eine Insel mitten im Naturreservat. Foto: Escucha/LukasFleischmann

Die richtige Ausrüstung

Wenn ihr so eine Reise machen wollt, dann kümmert euch um die richtige Ausrüstung. Das hört sich zwar nach einer Plattitüde an, wird aber von vielen Menschen unterschätzt. Ganz wichtig: Nehmt gute Kleidung und gute Schuhe mit. Wir haben super Erfahrung mit Merino-Wolle gemacht. Shirts und Hemden aus diesem Material sind zwar ganz schön teuer, aber sie werden superschnell trocken, stinken wenig und lassen kaum Wind durch. Das kühlt unterm Tag und wärmt am Abend. Ganz wichtig ist auch die richtige Hose. Die sollte auf jeden Fall lang sein aufgrund der vielen Moskitos. Ich habe mir eine Zipp-Hose mit abnehmbaren Beinen gekauft und vielen Seitentaschen. Ich bin zwar deswegen von einigen Freunden endgültig aus der Liste fashionbewusster Menschen geflogen, aber für den Trip wars das definitiv wert. Gold wert sind auch Taschenmesser, Gaskocher, Wasserschuhe und vernünftige Regenkleidung. Joshua hatte einen Poncho, ich eine Jacke. Wir waren beide zufrieden. Da ihr euer Gepäck wahrscheinlich nicht zu 100 Prozent in den Tonnen aufbewahren könnt, müsst ihr euch darauf einstellen, dass Rucksäcke oder Koffer nass werden können. Ich habe mir vorher einen Transportsack für meinen Trekkingrucksack geleistet. Das hat sich als sehr sinnvoll herausgestellt, weil er gerade bei Wind und Regen meinen Rucksack und meine Kleidung zuverlässig trocken hielt. Zelt, Iso-Matten, Küchenequipment und Schlafsäcke könnt ihr über das Kanu-Center bestellen. Aber ich persönlich schlafe dann doch lieber in meinem Schlafsack. Und mein heimlicher Lieblingsgegenstand: ein paar gestrickte Socken meiner Oma. Natürlich sind meine Füße und Schuhe komplett nass gewesen, als wir beinahe gekentert sind. Am Abend wurde es auch richtig frisch. Sich dann in kuschelige Wollsocken zurückziehen zu können, war auf jeden Fall richtig hilfreich.

Abseits von diesen größeren Gegenständen vergesst auf keinen Fall Sonnencreme, Kopfbedeckung und Sonnenbrille. Denn das Licht kann stark und vor allem lange knallen. Wir hatten beide Sonnenbrände. Und spart außerdem nicht am Anti-Moskito-Material. Investiert hier lieber ein bisschen. Unsere drei Flaschen Autan haben nur ganz rudimentär geholfen. Für schwedische Stechmücken braucht es da schon mehr.

Letztlich ist aber vor allem entscheidend, mit wem ihr das macht. Denn ihr verbringt sehr viel Zeit auf wenig Raum. Ihr werdet die ein oder andere abenteuerliche Aktion erleben. Da hilft es, wenn man sich gut kennt. Und vor allem: überanstrengt euch nicht und habt Spaß dabei. Wir sind auf jeden Fall wieder am Start.

Ich auf dem Kanu. Am selben Tag habe ich einen derben Sonnenbrand bekommen. Also: Eincremen nicht vergessen!

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